Digitaler (musikalischer) Zeitgeist

(Eine Abhandlung über die Entwicklung neuer Klangsynthesizer von Hagen Grabowski)

 

Was ist modern und was ist out ?

Modern ist, was sich gut verkaufen läßt, egal ob man es braucht oder nicht. Manchmal reicht es schon, wenn der Nachbar es hat, dann will man es auch. Wer zu lange braucht, um etwas modernes zu kaufen, dem hilft die Werbeindustrie mit Suggestion weiter, bis man dann schließlich vielleicht doch kauft.

Kompliziert wird es, wenn man etwas modernes kauft, das als eigenständiges Produkt nur zu gebrauchen ist, wenn es zusammen mit anderen Produkten überhaupt benutzbar ist, wie z.B.:

Computer und Internetvertrag, Softwaresynthesizer und aktuelles PC Betriebssystem, aber auch Plattenspieler und Schallplatten, Tonbandgerät und Bänder, Videorecorder und Kassetten, Videokamera und Anschlüsse für den Fernseher u.s.w.

Was out ist bestimmt in erster Linie die Industrie durch sogenannte Innovation. Wenn ein Produkt veraltet scheint, wird ein Neues auf den Markt gebracht. Wenn die Kunden ein altes Produkt wegen einer Retrowelle kaufen wollen (z.B. Plattenspieler), werden sie auch wieder hergestellt und verkauft, auch ohne Werbeindustrie. Oftmals werden die preiswerten neuen Plattenspieler wegen der Plastikgehäuse nicht so gut klingen, wie die Alten früher, doch man wird der Kundennachfrage gerecht.

Die Digitaltechnik gibt es seit Beginn der 80er Jahre. Analogtechnik gibt es im Jahr 2016 nur noch zu einem verschwindend niedrigen Prozentsatz. Was früher analog hergestellt wurde ist inzwischen digitalisiert worden und wird der Menschheit irgendwann einmal verloren gehen, wenn ihr im Datenmüll der Überblick verloren gegangen sein wird oder alte Digitalmedien nicht mehr kompatibel sind. Außerdem hat niemand, der an der Weiterentwicklung digitaler Medien verdient Interesse daran, daß alte Medien mit neuen Geräten noch abspielbar oder benutzbar sind, wenn gesetzliche Gewährleistungsfristen irgendwann abgelaufen sind.

Schaut man sich die Geschichte von Unternehmen an, die einmal Markführer in der Unterhaltungselektronik oder in der Produktion elektronischer Musikinstrumente waren, dann begann deren Ende oftmals zu dem Zeitpunkt, an dem sie der sogenannten "Innovation" plötzlich nicht mehr folgen konnten, weil die neuen Produkte aus völlig anderen Komponenten und Technologien bestanden.

Betrachtet man die Lebensdauer eines Flügels oder einer Meistergeige mit der real möglichen Lebensdauer z.B. eines Roland – Synthesizers "Jupiter 8" aus dem Jahr 1981, dann wird man feststellen, dass ein 1981 gebauter Flügel oder eine Meistergeige dieses Jahrgangs gegenwärtig problemlos gestimmt und repariert werden können und das auch noch in 100 Jahren, wobei der Roland – Synthesizer, falls er überhaupt noch funktioniert, schon allein auf Grund der mittlerweile höheren Netzspannung als 1981 viel heißer und immer weniger stimmstabil sein wird, obwohl er trotz hohen Klangpotentials wegen seiner geringen Stückzahlen von viel zu wenigen innovativen Musikern für weitere beeindruckende und neue Kompositionen je verwendet werden konnte.

Auch wenn der Vergleich etwas hinkt, so ist doch auch ein analoger Synthesizer ein erhaltenswertes Instrument, doch weil er der Elektronikbranche zuzuordnen war, stand fest, dass er durch Nachfolgemodelle abzulösen war. Niemand hätte je daran gedacht, die Schwächen eines Jupiter 8 durch eine Produktverbesserung zu beseitigen. Statt dessen kamen völlig neue Modelle auf den Markt.

Der Innovationswahn unserer Zeit führt manchmal dahin, dass wir nicht nur den Überblick verlieren, sondern auch daran gehindert werden, uns lange an einer Sache erfreuen zu dürfen. Es bedeutet auch, dass viele Produkte gar nicht erst die Chance bekommen, sich über einen längeren Zeitraum als wertvoll zu erweisen, weil sie der Schnelligkeit des Zeitgeistes zum Opfer fallen.

Anstatt dass der Verbraucher bestimmen kann, wie lange er ein Produkt tatsächlich benutzen kann, bestimmt die Industrie die tatsächlich nutzbare Lebensdauer durch ihre sogenannte Innovation, wodurch nicht nur unsere Müllberge zunehmen, sondern auch unsere zunehmende Unzufriedenheit wachsen kann. Neben dieser Unzufriedenheit bleibt dazu auch noch ein Beigeschmack von Hilflosigkeit, was bei einigen Menschen zu einer kompletten Konsumverweigerung führen kann.

Wenn aber die Produkte nicht wirklich besser werden, also z.B. die Synthesizer des Jahres 2016 nicht annähernd an die Klangfülle vergleichbarer Instrumente von 1981 heranreichen, wem nützen dann 1000 neue Sounds, wenn 32 tatsächlich brauchbare Sounds, die sich leicht editieren ließen, damals und heute ein Standard waren und wären ?

Da sich niemand diese Frage stellt, kaufen wir also weiter neue und innovative Produkte und vergessen einfach den alten Kram, der außerdem damals ja viel zu teuer war und heute nur noch für Sammler einen ideellen Wert besitzt.

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