Warum neue Sounds ?

(Eine Abhandlung über die Entwicklung neuer Klangsynthesizer von Hagen Grabowski)

Inspiration für neue Musik und neue Klänge benötigt eine Quelle.

Eine sehr wichtige Grundlage für die Erschaffung von Neuem ist die Freiheit des schnellen und sofort wahrnehmbaren Veränderns von Parametern.

Musiker in den 60er und 70er Jahren waren auf Synthesizer mit größtenteils nicht speicherbaren Sounds angewiesen. Die Klänge wurden vom Keyboarder intuitiv über Potentiometer und Schalter vor und während des Spiels eingestellt, so daß sie das Klangbild des Musiktitels am besten mit bestimmten. Damals wurde sehr viel improvisiert. Diese Improvisationen erfolgten fast immer intuitiv und in den seltensten Fällen durch vorgegebene Noten oder Klangschablonen. Der Entstehungsprozeß eines neuen Musikstückes war ein Ergebnis von Experimenten, Intuition und Kompromissen zwischen den Musikern. Noten dazu entstanden oftmals später.

Erst später, Anfang der 80er Jahre führte die Miniaturisierung der Mikroprozessoren dazu, daß Potentiometer und Schalterwerte analoger Synthesizer abgespeichert und reproduziert werden konnten. Dieser technische Fortschritt führte dazu, daß polyphone Synthesizer preiswerter und leichter wurden. Bei Liveauftritten brauchte man keine "Keyboardtürme" mehr zu stapeln, weil das Umschalten voreingestellter Sound sekundenschnell möglich wurde. Von dieser Innovation profitierten vor Allem reproduzierende Musiker.

Auch Musikproduzenten profitierten von den Möglichkeiten der neuen speicherbaren und später rein digitalen Synthesizer. Es entstanden neue Klangsynthese – Verfahren, neue Sounds, neue Musik und eine neue musikalische Ära.

Den Vorteilen digitaler Synthesizer, wie Stimmstabilität, kompakter Aufbau, viele Speicherplätze, geringe Reparaturanfälligkeit und günstige Preise auf Grund hoher Produktionsstückzahlen stehen aus Sicht des produzierenden Musikers und des Klangkünstlers allerdings auch Nachteile gegenüber, wie:

Komplizierte Menüführung, oftmals schwer zu programmierende neue Sounds, Abhängigkeit von Updates und Computerkompatibilitäten, Presetsounds mit wenig Innovationspotential für neue Musikrichtungen und Massenproduktion, die keinen individuellen Sound je produziertem Instrument zuläßt, da es keine analogen Abgleichpunkte je Instrument gibt.

Zusammengefaßt muß man, wenn man Digitalsynthesizer mit Analogsynthesizern vergleicht feststellen, daß die Digitaltechnik auf Grund ihrer mathematisch perfektionierten Grundstruktur im Gegensatz zur Analogtechnik nur innovativ in Bezug auf die massenhafte Verteilung einer vorab konfektionierten Klangbibliothek an viele Endbenutzer ist, die in den allermeisten Fällen keine neuartige Musik produzieren werden, also dem Konsum von Klangerzeugern oder der Reproduktion vorhandener Musik dienen.

Musik ist allerdings im Sinne eines Klangerlebnisses oder des Klanggenusses alles Andere als mathematisch perfektioniert. Musik lebt von analogen Ausgleichsvorgängen, von nicht mathematisch exakten Intervallen, Pausen, Einschwingvorgängen, Resonanzen, Oberwellenspektren, Überraschungen, Hallräumen sowie Schwebungen und Dissonanzen.

Musik sollte lebendig klingen, wenn angenehme, aber auch befremdliche oder leicht schockierende oder auch kribbeln verursachende Gefühle beim Zuhörer geweckt werden sollen. Derartige Gefühle lassen sich aber nicht mathematisch exakt über die per Tastatur spielbare Tonskala programmieren, da diese Gefühle durch analoge Ausgleichsvorgänge im menschlichen Körper aus größtenteils unerklärlichen Gründen entstehen.

Immer wieder gern gehörte Musikstücke erzeugen eine Resonanz in der Wahrnehmung des Zuhörers, die sich positiv stimulierend auf seinen Gemütszustand auswirkt.

Wir leben im Zeitalter moderner multimedialer Produkte. Musik und Sounds sind Bestandteil von Film, TV und Werbung. Ohne innovative Klänge sind audiovisuelle Produkte nicht viel wert. Nur wenige Menschen wissen, daß sehr wirkungsvolle Klangeffekte und nachhaltig wirkende Hintergrundsounds in Filmen rein analog und meistens sogar mechanisch erzeugt und erst dann digital bearbeitet werden.

Der Grund dafür ist, daß alle natürlichen und analogen Klänge schon im Klangkörper selbst für überraschende und niemals exakt genau reproduzierbare, also einzigartige Ausgleichsvorgänge während des gesamten Schwingungsverlaufes sorgen. Auch wenn die Filmkopie 1 Millionen mal auf DVD vervielfältigt wird, so bleibt der Film mit der einen speziellen Szene und diesem speziellen Sound einmalig und ist nicht mehr exakt an einer anderen Stelle irgendwo oder irgendwann in der multimedialen Welt woanders reproduzierbar, ohne als Kopie oder als schon da gewesen gelten zu können.

Das Phänomen der Massenproduktion ist die Begeisterung der konsumierenden Massen für Kopien.

Einzigartig ist nur 1 Original, dessen Entwicklungskosten geteilt durch die Anzahl seiner Kopien abzüglich der Produktions- und Marketingkosten einen Erlös erzielt, mit dessen Teilbetrag ein weiter entwickeltes Original finanziert wird, das vorherige Ablöst, bis sich keine Kopien mehr verkaufen lassen und das Produkt vom Markt verschwindet.

Was hat diese gedankliche Ausschweifung mit neuen Sounds zu tun ?

Neue Sounds entstehen in einem neu entwickelten einmaligen Klangerzeuger und nicht durch Abruf eines neuen Sounds in der 200 000 Kopie eines Klang wieder gebenden Gerätes. Dabei ist es unerheblich, ob es sich dabei um ein Handy oder um einen digitalen Synthesizer handelt, denn der Klang ist und bleibt eine Kopie. Da ein Klang in einem Musikstück nur ein Bestandteil ist, mag man ihn deshalb auch nicht überbewerten.

Nun mögen Skeptiker sagen, dass man den Klang ja bearbeiten könne, ihn verfremden oder verhallen oder rückwärts abspielen könne. Auch könne man ihn durch ein Tiefpass – Filter "jagen" und Resonanz hinzufügen. Natürlich kann man das Alles tun, doch es ändert nichts an der Tatsache, dass es sich bei dem ursprünglichen Sound um eine Kopie gehandelt hat.

Kreative Menschen stellen sich ihre Farben, Vorlagen, Dimensionen, Intervalle und Produkte gerne selbst zusammen. Oftmals wissen viele Künstler, wenn sie ein Werk anfangen noch gar nicht genau, wie ihr Endprodukt aussehen oder sich anhören wird. Ein gutes Produkt entsteht während eines Prozesses, der sich zeitlich und terminlich vorher nicht genau bestimmen läßt, da er nicht rational, sondern intuitiv abläuft. Das gelungene Produkt bewegt den Betrachter oder Zuhörer dann emotional. Lässt sich das Produkt multimedial kopieren, so können viele Menschen davon "emotional berührt", zumindest aber informiert oder unterhalten werden, was sehr schön ist.

Was analoge und digitale Synthesizer betrifft, so erscheinen insbesondere bei Internetauktionen sehr oft virtuell analoge Synthesizer unter der Rubrik analoge Synthesizer, was allerdings klanglich erhebliche Unterschiede mit sich bringt.

Analoge Synthesizer besitzen immer analoge VCO, VCF und VCA. Die digitale Hüllkurvererzeugung mag dennoch dem Begriff "Analogsynthesizer" gestattet werden, da Hüllkurven am wenigsten Einfluss auf den analogen Klangeindruck haben.

Sind in einem Synthesizer DCO statt VCO enthalten ,so gehen sehr signifikante analoge Bestandteile verloren, die das justieren eines VCO Synthesizers zwar kompliziert machen, aber (wie beim Klavier) eine wohltemperierte Stimmung, aber auch fremdartige Stimmungen ermöglichen.

DCO sind allerdings nichts anderes als Frequenzteiler wie bei elektronischen Orgeln, die in den Oktavtönen starre Phasendurchgänge erzeugen, was bedeutet, dass wenn ein zweiter DCO zum ersten DCO verstimmt wird, je 1 Oktave nach oben sich die Anzahl der Schwebungen exakt verdoppelt, was in der obersten Oktave zu Dissonanzen führen kann. Die Dissonanzen werden insbesondere bei sehr Oberton reichen Schwingungen (z.B. Sägezahn) als unangenehm empfunden.

In vielen alten Synthesizern mit DCO findet man deshalb einen Choruseffekt, mit dem versucht wird, über die gesamte Tastatur gleichmäßige Schwebungen zu erzeugen, was auch gelingt, jedoch auf Grund der gleichmäßigen LFO Abläufe im Chorus ein dauerhaft eintöniges Klangbild generieren. Oftmals gehen durch den Choruseffekt auch hohe Frequenzen verloren, was das Erzeugen bissiger und dennoch voluminöser Klänge unmöglich macht.

Das Klangbild virtuell analoger Synthesizer ist ähnlich dem der DCO Synthesizer, da keine VCO enthalten sind. Auch mit den aufwendigsten nachgeschalteten Effekten kann niemals die Wärme von mindesten 2 VCO je Synthesizerstimme simuliert werden. Da die Effekte auch nur wieder den Gesamtklang modulieren.

VCO haben den selben Nachteil wie die Saiten einer Gitarre oder eines anderen Saiteninstrumentes, sie verstimmen sich mehr oder weniger in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur und benötigen einen möglichst konstant temperierten Raum und zusätzlich noch eine Aufwärmphase. Das Nachstimmen der VCO ist also wie bei einer Gitarre Normalität.

Der unangefochtene Vorteil der VCO ist deren phasenmässige Unabhängigkeit voneinander, was je nach gespielten Tönen nie zu den selben Schwebungen bei mindesten 2 VCO führt.

Das menschliche Gehirn merkt sich eintönige akustische Eindrücke und lässt Diese schon nach kurzer Zeit in der Wahrnehmung verblassen. Die vom menschlichen Gehirn zu verarbeitenden nicht als eintönig einzuordnenden unmathematischen VCO Schwebungen fordern wesentlich länger unsere Aufmerksamkeit, wie z.B. phasenstarre Oktavmixturen elektronischer Orgeln. Selbst Scanner Vibratos und Leslie Boxen wirken schnell ermüdend, wenn der Spieler nicht ständig Intensitäten und Drehzahlen während der Darbietung variiert.

Scanner Vibratos und Leslie Boxen sind allerdings weniger für neue Sounds geeignet, denn sie gehören ihrem Klangbild nach zu einer eindeutig vergangenen musikalischen Ära.

Im Ergebnis der Tests von elektronischen Klangerzeugern für neue Sounds wurden VCO als notwendige und musikalisch wertvolle Bestandteile ermittelt.

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